CÄTHE im Interview: "Vagabund“

Cäthe im Interview:


Das Wort „Vagabund“ steht laut Duden für „Landstreicher, Herumtreiber“. Mit ihrer Platte „Vagabund“ lässt uns Cäthe mit jeder Zelle spüren, dass dieser Begriff viel tiefgründiger und umfassender ist, als es auf den ersten Blick zu sein scheint.

Eine wie Cäthe wandert mit weit offenen Augen und Ohren durch die Welt und singt darüber. Doch um gute, ehrliche Musik zu machen, die unter die Haut geht, gehört noch mehr dazu … Cäthes Herz ist ebenso offen – das macht ihre Songs unverkennbar energisch und weich, tiefsinnig und leicht zugleich.
 
Cäthe gibt zu: Sie ist ein Vagabund – und sehr glücklich damit! Dieser ruhelose, aber standhafte Part von ihr treibt sie unermüdlich voran, erfüllt sie mit einem Gefühl, überall zu Hause zu sein … „Seit ich diesem Vagabunden vertraue, passieren die wunderbarsten Dinge“, gesteht Catharina Sieland, alias Cäthe. So lässt sie sich voller Zuversicht im Frühjahr 2014 nach Berlin treiben, in die Stadt, die die Sängerin neu erfinden, ihr einen Neuanfang gewähren soll. „Ich habe hier einen ganz neuen Zugang zu mir bekommen. Anstatt mich auf den Trubel einzulassen oder in das irre Chaos zu stürzen, habe ich mich der positiven Seite Berlins zugewendet: Das große, vielseitige Angebot an kulturellem Austausch, die Möglichkeit, an jeder Ecke neuen Impulsen und Ideen zu begegnen.“ Gehe man Berlin von der richtigen Seite her an, bringe diese Stadt Glück und viel Optimismus mit sich, weiß die Sängerin.

Aus dem in Berlin wieder gefundenen Glück und dem großen Optimismus, nach dem Abschütteln festgefahrener Denkmuster und  alter Herzqualen, entsteht in dieser vielseitigen Stadt  Cäthes neues Album – ja ein Roman aus 12 Kapiteln ihres Lebens, voll und ganz und dankbar dem Vagabunden ihrer Seele gewidmet.
 
Vier Säulen „Intimität, Freude, Intensität und Schönheit“ stützen das autobiografische Album mit dem Titel „Vagabund“„Das waren meine Leitfäden, das wollte ich in mir finden und in Wort und Musik bringen.“ Die emotionsstarke Platte  etikettiert Cäthe zudem mit Begriffen „Selbstreflexion, Zuversicht und Aufbruch“. Dank dieser gelingt es ihr, auf eine kokette Art dem Zuhörer ihre reichhaltige „Text-Sternenküche“ mundgerecht zu servieren: Ernst, aber nicht „schwer verdaulich“, tiefgründig, aber für jedermann  zugänglich, melancholisch und heiter zugleich …

Ich frage mich – und die Cäthe, wie es ihr gelingt? Und bekomme die Antwort:

„Das letzte Wort darf nie gesprochen sein. Es soll getragen werden durch meine Lebendigkeit, durch meine Hoffnung, gesehen und verstanden zu werden. Auch von mir selbst.“

Intimität

„Das letzte Wort darf nie gesprochen sein“

Genau dieses „Nicht-ganz-Ausgesprochene“ macht die Intimität ihrer Texte und Melodien aus: Diese Intimität schaffe Zugang. Ohne sie würden Cäthes Lieder nur halb so viel Sinn ergeben. So öffnet der Vagabund namens Cäthe wieder und immer wieder ihr Herz, schüttet ihre tiefsten und intimsten Gefühle und Gedanken heraus – ohne Scheu, sich selbst zu verlieren.

Intim wird es im Song „Foto im Portemonnaie“, einer Vater-Tochter-Sehnsucht-Verständnis-Dankbarkeits-Geschichte. Ein Vater, der ging; eine Tochter, die blieb; Sehnsucht nach einer „perfekten Familie“, die streift; Melancholie, die schleicht; und die Erkenntnis, die weilt:

„Wir sollten nicht versuchen, etwas künstlich aufrecht zu erhalten, nur weil wir Angst haben vor unserer eigenen Lebensauffassung, vor unseren eigenen Träumen.“

Cäthe im Interview:


Einen intimen Blick, diesmal in Cäthes Schlafzimmer, erlaubt auch eine kurze Geschichte zu dem Thema „Foto im Portemonnaie“. Denn noch ein anderes Foto hat es in die Cäthes Brieftasche geschafft: Ein Foto von ihrer guten Freundin namens Mika…

“Es ist ein Fotoautomatenbild, das wir vor neun Jahren aufgenommen haben. Sie lebte lange in London und ich trug es ein paar Jahre mit mir, egal, wohin ich ging. Jetzt steht das Foto eingerahmt auf meinem Nachttisch, zusammen mit anderen Fotos und getrockneten Blüten, einer kleinen chinesisch-buddhistischen Priesterinnenskulptur, einem Würfel aus Stein, einem Stück Räucherholz, einer Kerze und einem alten tollen Buch über die Geschichte Frankreichs. Irgendwie ist das einfach eine schöne und passende Komposition für mich, die ich jeden Abend um mich habe, bevor ich einschlafe.“

Es ist zwar ein emotionales Detail, eine intime Nuance aus dem Leben der Musikerin, die uns Zugang zur Cäthes Innenwelt verschafft. Doch genau das  „Nicht-ganz-Ausgesprochene“, warum diese Mika so einen „festen Platz“ in Ihrem Leben einnimmt, macht den Reiz der Geschichte aus. Typisch für all ihre Musik-Balladen. Typisch Cäthe!

Zuversicht

„Möge Gott mich vor meinen Unzulänglichkeiten beschützen“

Cäthe ist ein Rebell – ganz sicher. Doch auch in ihrer rebellischen Seele ist Platz für Demut! Demut ist auch der Inhalt des Songs „Stille Demut“, mit dem die Ausnahme-Künstlerin zu Gott betet, er möge sie vor ihren „Unzulänglichkeiten beschützen“ – und spürt Zuversicht.

Freude

„Wärter unserer Herzen wissen, was wir brauchen“

Cäthe im Interview:


Zuversicht und Freude strahlen dem Zuhörer aus der Single „Unter Palmen“ entgegen. Hier setzt Catharina eine imaginäre Clownsnase auf und lacht gegen Schmerz und Ausweglosigkeit an. Vor allem die eingängige Melodie ist es, die dem Song eine sommerliche Leichtigkeit verleiht. Der Text  ist dabei „ alles andere als oberflächlich, kommt aber auch nicht bedeutungsschwanger dahergetrabt.“

Eine Zeile berührt mich besonders und wirft entmutigende Fragen auf: „Jedes Herz hat eine undichte Stelle …“ Wo ist diese undichte Stelle in Cäthes Herz? Wo ist sie in meinem? Wie „gefährlich“ ist es? Die Antwort der kühnen Künstlerin ermutigt:

„Durch die undichte Stelle kann sowohl Liebe als auch Hass dringen, und wir können diese undichte Stelle nicht schließen. Das einzige, was wir tun können, ist Vertrauen zu haben, dass die Wärter unserer Herzen schon wissen, was wir brauchen. Wenn wir in Kontakt mit den Wärtern sind, wir also regen, liebevollen Austausch mit uns selbst haben, wird auch der Hass keine Chance haben.“

Selbstreflexion

„Ich will, dass du dich willst, denn nur dann kannst du auch mich wollen“

Tauscht man sich mit dem eigenen Herzen aus, geht es mit der Selbstreflexion los. Außer den „Wärter unserer Herzen“ hat unser „Innenraum“ genug Platz für weniger brauchbare Dinge, die ebenso umsorgt werden wollen.  

Während manche ihren inneren Schweinehund pflegen und hegen, zähmt die feurige Sängerin einen anderen Vierbeiner in sich: „Müder Drache“ ist „eine Nervensäge. Immer wird alles bewertet, entzaubert, angezweifelt. Das regt mich wirklich auf. Er scheißt mir sozusagen immer auf meine gute Laune.“ Doch Cäthe kenne dieses Tier mittlerweile schon viel besser und trickse ihn einfach aus. Gute Taktik, denke ich mir … Und merke mir folgende Tricks der erfahrenen Drachen-Flüsterin: so tun, als würde man „seine Sprache nicht verstehen, als wäre er sehr unlogisch und furchtbar schlecht informiert. Das irritiert ihn.“

Cäthe im Interview:


Dieser Blick nach innen, in das eigene ICH, zieht sich wie ein roter Faden durch ihr Leben, ihr Singen … Mit dem Satz „Ich komme mir langsam vor, wie jemand, der ich bin …“ im Song „So oder so“ singt sie wieder das Lob an die „Selbstreflexion“. Dieser Satz sei ihr kurioserweise bei Staubsaugen eingefallen, also in einer Situation, die unspannend und langweilig war, gibt die zarte Powerfrau zu. Sie sagte diesen Satz immer wieder, bis sie ihn nun selbst glaubte – so bekam er eine immer größere Bedeutung für sie:

„Das mache ich gern, ich teste so die Sätze. Ich sage sie mir immer mal wieder in den verschiedensten Situationen und wenn sie sich bewähren, dann scheint etwas an ihnen dran zu sein. Dann gehören sie zu mir.“

Wie wichtig die eigene „Selbstreflexion“ für das Zwischenmenschliche sei, wird aus dem Titel „Scheitern kann ich auch allein“ deutlich:

„Ich habe das Gefühl, das wir Menschen schnell aneinander vorbei fühlen, dass wir viel zu selten glauben wollen, dass doch eigentlich alles gut ist, dass wir OK sind so wie wir sind, dass es reicht, dass wir reichen. Wir suchen in unserem Gegenüber jedoch ständig die Bestätigung oder einen Grund für unser Handeln oder Nichthandeln. Das widerspricht sich. Deshalb sage ich auch „Ich will, dass du dich willst“, denn nur dann kannst du auch mich wollen und klebst nicht an Vorstellungen, die ich überhaupt nicht erfüllen kann.“  

Dass bei Cäthe mit der Selbstreflexion alles in Ordnung ist, steht außer Frage: „Ich kann mich sehen, oh ja“, swingt Cäthe leicht verträumt mit dem bluesigen Sound von „Yeah yeah“. Und singt sich dabei die eher schweren Gedanken über unsere Freiheit leicht, denn „… die Freiheit kann so grausam sein … „Der Mensch ist nicht geschaffen für die Freiheit, er ist eine Bestie…“, philosophiert sie. Cäthes Wahrheit über die Freiheit lautet: „Freiheit ist nicht frei, weil wir nicht frei sind, wir würden wahnsinnig werden.“ Die Nicht-Freiheit fange mit dem Hass auf sich selbst und andere an.

„Ich schätze, dass der Glaube an etwas Größeres eine wesentliche Rolle spielt und dass Gott uns frei machen kann, was auch immer Gott ist. Ohne diese Hoffnung geht der Mensch zugrunde.“

Unsere Selbstreflexion führt uns letztendlich zielsicher dazu, „Die zu werden, die wir sind“. Doch Cäthe weiß: Um die zu werden, die wir sind, braucht’s keine Anstrengung, kein Handeln und Tun.

„Wir sollten den ganzen Schwachsinn sein lassen, der uns Zeit, Nerven und Platz raubt. Wir sollten viel öfter aufräumen, wir sollten viel öfter mal wieder in der Erde buddeln und blöde dabei rumgackern.“

Intensität

„… sich ansehen und hinsehen, hineinsehen“

Cäthe im Interview:


Alles, was diese Frau mit ihrem neuen Album sagt oder singt, ist nicht nur selbst-reflektiert, sondern auch in jeder Hinsicht sehr intensiv. Dafür braucht die sonst nicht auf den Mund gefallene Frau nicht immer viele Worte. So versprüht das Lied „Halleluja“, trotz der „Wortkargheit“, eine unglaubliche Intensität! „Halleluja“ schreit und singt Chatarina Sieland und gibt zu meiner Überraschung zu: „Mir fehlen öfter mal die Worte, um ehrlich zu sein. Gerade wenn ich richtig glücklich oder sehr traurig bin, finde ich nur wenige Worte für meine Gefühle. Deshalb schreibe ich wahrscheinlich auch, ich kompensiere es auf diese Art und Weise.“ Und wer der wortkargen „Stille“ dieses Liedes zuhört, versteht: Sie sei überwältigt von der Präsenz eines Menschen, den sie überall alles liebt.

„Es gibt einfach nichts zu sagen, es ist alles gesagt durch die Begegnung an sich, durch das „sich ansehen und hinsehen, hineinsehen.“

Wie wahr, liebe Cäthe!

Schönheit

„Gelassenheit. Zärtlichkeit. Power“

Besonders still wird Cäthe im „Junge aus Sand“. Zart und melodischen besingt sie die „Schönheit“ und zeigt sich tief berührt. Von der “‘Ungeschnörkeltheit‘ des Jungen aus Sand. Seiner Gelassenheit. Seiner Zärtlichkeit. Seiner Power.“ Und wieder kommt der Lieblingstrick mit dem „Nicht-ganz-Aussprechenen“ zum Einsatz.  Wer ist der Junge aus Sand, der so viel Melancholie und stiller Bewunderung in Cäthes Herz zaubert …?

Aufbruch

Cäthe auf Dutschland-Tour 2015

Cäthe im Interview:


Still halten ist dennoch nicht Cäthes Stärke, denn sie ist ein Vagabund. Sie sei nicht geboren, um in eine geregelte Welt zu passen. „Ein Vagabund hat alles bei sich, er sammelt Erfahrung, so wie andere Besitztümer, und kann jederzeit weiterziehen, hinein ins Leben. Er hält sich nicht fest, er erzeugt keine zusätzlichen Dramen. Mir das vor Augen zu halten, macht mich sehr sehr glücklich!“

In Herbst 2015 folgt Cäthe wieder dem „Aufbruch“-Ruf des Vagabunden in ihr und geht auf Deutschland-Tour. Wer auf diesen von Cäthe gesteuerten „Selbsterkenntnis-Zug“ aufspringen und mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit  durch die Stationen Intimität, Zuversicht, Freude, Intensität, Schönheit, Selbstreflexion und Aufbruch rasen möchte, hat folgende Möglichkeiten:

31.01.16 Hamburg – Mojo Club (Nachholtermin)
04.02.16 Dresden – Beatpol (Nachholtermin)
05.02.16 Leipzig – Täubchenthal
06.02.16 Jena – F-Haus
11.02.16 Frankfurt – Zoom
12.02.16 Konstanz – Kulturladen
13.02.16 Freiburg – Jazzhaus
14.02.16 Saarbrücken – Garage
17.02.16 Nürnberg – Club Stereo
20.02.16 München – Ampere (Nachholtermin)
21.02.16 Köln – Luxor (Nachholtermin)
23.02.16 Dortmund – FZW
24.02.16 Hannover – Lux
25.02.16 Rostock – Helgas Stadtpalast
27.02.16 Magdeburg – Moritzhof
28.02.16 Berlin – Kesselhaus (Nachholtermin)
17.03.16 Osnabrück – Rosenhof
19.03.16 Stuttgart – dasCANN
20.03.16 Heidelberg – Halle 02

Ich kann nur empfehlen, eine dieser Gelegenheiten zu nutzen. Denn diese Frau ist „ansteckend“: mit ihrem Optimismus, ihrem Lebensmut, Taten-Drang und „Wagnis-Wahn“ an. Ihr drittes Album, das nichts anderes als ein aufklärendes, aber nicht belehrendes Spiegelbild eines Menschenlebens ist, wirft in mir die Frage auf: Wie viel Vagabund – wie viel „Cäthe“ steckt in mir?

Ich werde ruhelos … Das Cäthe-Konzert naht!
Text: Olga Sattler

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